Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin. Einige Hinweise von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus am 3.2.2025.

Wer sich zunächst für die Vielfalt der Themen interessiert, die wir in unserem “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” besprochen und diskutiert haben: LINK

1.
Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. (Biographische Hinweise: Fußnote 1.)
 Übliche, also öffentliche Salon – Veranstaltungen fanden monatlich von 2007 – 2020 statt. Jetzt gestalten wir philosophisch – theologische Gespräche in kleinerem Kreis. Regelmäßig werden neue Beiträge als Hinweise zur philosophischen und theologischen Debatte auf unserer Website publiziert, bis jetzt sind es 1.800 Beiträge, “Hinweise” genannt, Stand 26.9.2025.

2.
 Titel und „Sache“ eines „(religions-)philosophischen Salons“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre eines Salons, ist evident. Das gilt, selbst wenn viele Interessierte beton(t)en, „Philosophie“ sei schwierig. Das ist sie vielleicht, nicht aber Philosophieren: Es ist das Lebenselement eines jeden Menschen.
 In unserem religionsphilosophischen Salon wird das möglichst eigenständige Philosophieren (kritische Nach – Denken) geübt.
 Philosophische Religionskritik gehört elementar zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Philosophische Religionskritik kann zeigen, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann.

3.
 Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine relevante Frage, auch angesichts der Zunahme von christlichem und muslimischem Fundamentalisten. Dringend ist die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

4. 
In unseren Gesprächen wird oft erkannt: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt.

5.
 Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten und das Göttliche, das Transzendente, erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend und dieses denkende Transzendieren ermöglichend. Die auf das Wesentliche reduzierte Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie von Kant gilt uns als wichtige Inspiration für eine heutige vernünftige (!) christliche Spiritualität.

6.
 Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. Der Widerspruch und der Kampf gegen alle Formen des Rechtsradikalismus (AFD, FPÖ, Le Pen, usw.) und Antisemitismus muss zum Mittelpunkt nicht nur unserer, sondern der philosophischen Arbeit insgesamt werden. Es gilt, die Demokratie zu retten.

7.
 Die „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus, Kapitalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich immer – oft umthematisch – in allen Lebensbereichen statt.

8.
 Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen „materiellen“ Ort? Als Treffpunkt, als Raum, eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und vor allem keine öffentlichen Räume.

9. 
In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

10.
 Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), das Dorf Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrenamtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird. Das ist der Preis für eine völlige Unabhängigkeit.

11.
 Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans-van Gunst aus Amsterdam…

Die Liste unserer Gäste und Refernten: Zu unseren Gästen, auch als Referenten, gehören  Theologe Prof. Wilhelm Gräb, die Soziologin Prof. Barbara Muraca, Pfarrer Edgar Dusdal (Berlin), der Studienrat für Kunst Gerd Otto (Berlin), der Theologe und Kulturwissenschaftler Prof. Johan Goud (Den Haag), der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich (Leipzig), der Philosoph Prof. Lutz von Werder (Berlin), der Philosoph Dr. Jürgen Große (Berlin), der Buddhismus-Lehrer Michael Peterssen (Berlin), der Komponist Joachim Gies (Berlin), Dr. Dorothea Hasskamp vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst (Berlin)……

12.
 Es ist uns leider deutlich, dass innerhalb der philosophischen Studiengänge an Hochschulen und Universitäten nicht im entferntesten daran gedacht wird, auch das Berufsbild eines Leiters, einer Leiterin besser „Inspiratorin“ philosophischer Salons zu entwickeln. Damit PhilosophInnen freilich ,als Salonnières arbeiten können, müsste die Kulturpolitik entsprechend handeln. Aber die interessiert sich offenbar absolut vor allem für die so genannte Hochkultur der Oper und der Theater, nicht aber für eine Form der „Basis-Philosophie“ als Möglichkeit, vor Ort unter den vielfältigen Menschen tiefere Kommunikation zu ermöglichen.
Eigentlich bräuchte es etwa in Berlin in jedem Stadtbezirk mindestens einen philosophischen Salon, besser noch ein philosophisches „Haus“ mit öffentlich zugänglicher kleiner Fach – Bibliothek , Lesezimmer, Meditations- Denk-Raum und Tee/ Kaffee-Stube.Viele leerstehenden Kirchen könnten entsprechend umgestaltet werden. Dass dort auch philosophisch – literarische Debatten oder Diskussionen zu Grundfragen der Politik, der Kunst und Musik und Spiritualität stattfinden können, ist keine Frage.

13.
 Die Bilanz: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs aufgegriffen und realisiert wurde.
Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre unserer Arbeit sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. Wir haben diese Ignoranz auch als Freiheit erlebt.

14.
 Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise von Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de, wurden bisher mehr als 2.300.000 „angeklickt“, was immer das inhaltlich auch bedeuten mag. (Stand 3.2.2025).

15.
 Unser letztes öffentliches Salongespräch vor der Corona – Pandemie fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr, statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine überschaubare Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist immer wieder bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

16. Zu unseren Gästen, auch als Referenten, gehören etwa: Der Philosoph Prof. Peter Bieri, der Philosoph und Theologe Prof. Michael Bongardt, der Theologe Prof. Wilhelm Gräb, die Soziologin Prof. Barbara Muraca, Pfarrer Edgar Dusdal (Berlin), der Studienrat für Kunst Gerd Otto (Berlin), der Theologe und Kulturwissenschaftler Prof. Johan Goud (Den Haag), der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich (Leipzig), der Philosoph Prof. Lutz von Werder (Berlin), der Philosoph Dr. Jürgen Große (Berlin), der Physiker Dr. Hans Blersch (Berlin)…

17. Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprechend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”.

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Dieser Hinweis vom 7.2.2023 wurde am 3.2.2025 überarbeitet.

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FUßNOTE 1: 
Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“:

Christian (Johannes, 2. Vorname) Modehn,  1948 in Berlin (Ost) – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe – Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, und St. Augustin bei Bonn und der Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn war einige Jahre Mitglied einer katholischen Ordensgemeinschaft.  Christian Modehn arbeitet seit 1973 immer als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie früher auch für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM: LINK, sowie auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen und zu einigen Buchpublikationen: LINKSeit 2010 ist Christian Modehn Mitglied der freisinnigen protestantischen Kirche der Remonstranten (Niederlande). 

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet. Er hat u.a. viele unserer Themen angeregt und immer als Moderator die Gespräche begleitet.

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus. Religionsphilosophischer Salon Berlin

Aktualisiert am 29. November 2025 durch CM

Weihnachten: „Christus, der Retter, ist da…“ Oder: „Jesus der Retter ist da” ?

….diese Frage ist alles andere als nur theologisch subtil…
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
In Krisenzeiten neigen Menschen dazu, sich in (angeblich) altbewährte Traditionen zu flüchten, wenn sie sich denn nicht gleich Wahnvorstellungen und Verschwörungstheorien hingeben.
Um beim Weihnachtsfest zu bleiben: Es gibt das Bedürfnis in unserer „durchrationalisierten“ und digitalisierten Welt der totalen Ernüchterung, in die „verzauberte“ Welt der Kindheit, der Märchen und Legenden einzutauchen, um dort – wie in einem guten Traum – etwas Halt und seelische Wärme zu empfinden: Weihnachten ist der Inbegriff der Ergriffenheit, der Traditionspflege, des „Einst war es doch so schön“. Der ganze Kommerz–Wahn zu Weihnachten hat diese Wunschvorstellung nicht nur nicht kleingekriegt, der Kommerz hat diese diffusen Sehnsüchte  noch beflügelt…

2.
Also bleiben wir realistisch: Man kann wirklich nicht sagen, dass die Weihnachtsgefühle inklusive der obligaten Weihnachtslieder tatsächlich eine spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse gebracht haben. Man hat „Christus der Retter ist da“ viele Male gesungen, vielleicht mit Tränen in den Augen voller Wehmut, der Kindheit gedenkend … und ist dann drei Tage später wieder in die übliche Alltagsroutine zurückgefallen, die Alltagsroutine aus Egoismus, Hass, Neid, Gier und Krieg. In Russland feiert Patriarch Kyrill auch Weihnachten und preist als notorischer Kriegstreiber schamlos Christus als den Friedensfürsten.

Weihnachten mit seiner humanen Botschaft hat selten (und kaum nachzuweisen) zu einer Neuorientierung, also zur Abkehr vom üblich gewordenen Inhumanen geführt. Das über alle Jahrzehnte und Jahrhunderte empirisch zu belegen, wäre eine tolle Aufgabe. Die Kirchen würden solche Forschungen bestimmt nicht unterstützen…Also: Wer will im Ernst der Erkenntnis widersprechen, dass Weihnachten wenig spürbar zu einer menschlicheren Welt beigetragen hat. Das ist die traurige Bilanz einer Religion, die sich als Heil, als Rettung selbst versteht. Bestenfalls fand diese Erlösung, Rettung, dann im Innern der privaten Seele statt. Aber die Wirkungen nach außen, politisch, sozial im Sinne universaler Gerchtigkeit, blieben aus.

3.
Manche „Optimisten“ werden auf die Bereitschaft zum Spenden hinweisen für „Brot für die Welt“ oder „Adveniat“. Aber Spenden für die Armen sind der hilflose Ausdruck dafür, dass „wir als Erlöste“ strukturell die Welt nicht verbessern können oder verändern wollen: Der Hunger von Millionen Menschen weltweit besteht weiter  seit Jahren, die Kriege sind Alltagsrealität, die Rüstungsindustrie floriert, die Zahl der Milliardäre nimmt stetig zu, die Anzahl der von diesen Leuten Armgemachten, Geschädigten,  ebenso… Da sind Spenden ein Alibi für die Hilflosigkeit der Kirchen, wirklich praktisch und politisch und sozial spürbar durchzusetzen, dass „dieser Christus der Retter wirksam da ist“. Es blieb und bliebt also beim Singsang. Eher wirkungslos.

4.
Mein Vorschlag zu einer wirksamen Bedeutung von Weihnachten: Singen wir und sagen wir nicht länger „Christus, der Retter ist da“, sondern „Jesus, der Retter ist da“. Das ist mehr als eine theologische Spitzfindigkeit. Da geht es um Wesentliches. Aber das muss erklärt werden.

5.
Mir geht es um ein Thema, das nicht nur religionsphilosophisch Interessierte bewegt: Wenn der christliche Glaube, auch im Falle von Weihnachten, im Leben des einzelnen noch eine Rolle spielen soll, dann ist Glaube sinnvoll nur zu definieren als eine Form der Lebensorientierung, als eine Gestalt einer Lebensphilosophie. Der christliche Glaube als Lebensphilosophie mit der entsprechenden Lebenspraxis: Dann ist immer – wie bei jeder Philosophie – gemeint das vernünftige Verstehen, das Reflektieren, also auch die Kritik der „Inhalte“ dieser Lebensphilosophie, die da als kirchlicher Glaube verbreitet wird.

6.
Wer die uralten Weihnachtslieder betrachtet oder singt und eben darin einen hilfreichen Ausdruck seiner Lebensphilosophie sehen will, sollte sich also fragen: Was singe ich da eigentlich, welche Inhalte singe ich oder summe ich dann mit? Wenn es mir auf den Inhalt, den „Text“ der Lieder gar nicht mehr ankommt und diese für mich verständlicherweise veraltet wirken, dann reicht es, einige Weihnachtslieder einzig instrumental zu inszenieren. Und ich kann beim Hören der Melodie mir meine eigenen Gedanken machen jenseits von „O Kindelein von Herzen“ und den „himmlischen Heeren, die Ehre jauchzen“ usw. Nebenbei: Eines der wenigen, auch vom Inhalt her noch singbare alte Weihnachtslied ist für mich noch das Lied von Paul Gerhardt: „Ich steh an deiner Krippen hier“…

7.
Das beliebte Lied „Stille Nacht…“ verdient eine besondere kritische Aufmerksamkeit. Da heißt es in der 2. Strophe: „Christus der Retter ist da“…Christus ist der Retter. Und er soll also „da“ sein.
Wer das singt, hat, irgendwie verschwommen, einen oder seinen „Christus“ vor Augen, eine Art hoheitlicher Heilsgestalt, einen Gottessohn, der sich am Ende seines Lebens blutend und leidend für die Erbsünde der Menschen hingibt und dadurch seinen zornigen Vater(gott) versöhnt. Ist diese Überzeugung von Christen aus dem Mittelalter heute noch glaubwürdig und nachvollziehbar? Wie viele andere Theologen und Religionsphilosophen sage ich Nein. Es geht Weihnachten um Jesus von Nazareth, geboren als Kind von Obdachlosen in der Krippe zu Bethlehem, im Stall, inmitten seiner Eltern Maria und Josef. Dann war Jesus in Nazareth als Tischler tätig, später als Prophet und Prediger. Und er wurde umgebracht und später wussten seine Freunde: „Dieser vorbildliche Mensch ist der „Auferstandene“.

8.
Und jetzt kommt in meiner Sicht – ein theologisches Ereignis! Ein spiritueller Umbruch. Dabei geht es nur dem Schein nach um etwas Subtiles für „Spezialisten“: Es geht um den Unterschied zwischen „Christus“ und „Jesus“. Christus wird kirchlich verkündet als der himmlische Herr, die zweite Person der Trinität oder der Sühne leistende Sohn Gottes. Dies gilt in den Kirchen, selbst wenn oft von „Jesus Christus“ die Rede ist: Da tritt aber die Gestalt des Menschen Jesus immer in den Hintergrund gegenüber dem allmächtigen Christus. Das Konzil von Nikäa (325!) und die folgenden Konzilien haben diese Tendenz absolut verstärkt. Leider! LINK

9.

Jesus von Nazareth hingegen ist der jüdische Mann mit einer bestimmten Geschichte, mit einem Lebensentwurf, einer bestimmten Lebensphilosophie. Er ist ein Mensch mit einem Gesicht, einer Geschichte, er wird zum Propheten, den viele für einen Lehrer, einen Weisen, halten. Als ein solcher Weisheitslehrer mit einer bestimmten Lebensphilosophie kann er dann als der “Christus”  bezeichnet werden, der über den begrenzten jüdischen Raum hinausweist: Ein Weisheitslehrer für viele Menschen vieler Kulturen, für Menschen, die sich seinen Werten anschließen wollen. Jesus als Person, mit einem Gesicht, einer Geschichte, mit seiner Liebe zur Gemeinschaft, zum gemeinsamen Speisen, seiner Praxis der Meditation und des gelegentlichen Rückzugs in die Wüste, mit seiner Liebe für die Frauen, seiner Liebe zu seinem “Lieblingsjünger Johannes” usw.: Dieser Mann Jesus weckt neue Einsichten, inspiriert zum Leben in Gerechtigkeit.

10.
Man denke daran, dass der große katholische Theologe Edward Schilllebeeckx (Nijmgen, NL) von Jesus als dem erlösenden Vorbild sprach. Insofern befinde ich mich hier in bester theologischer Gesellschaft. Und Jesus als Vorbild führt weiter zu der argumentierenden Frage: Wo sind heute weitere Vorbilder? Wahrscheinlich Gandhi oder Martin Luther King? Oder Bonhoeffer? Oder Erzbischof Romero aus El Salvador? Oder bestimmte Werke der Musik, vielleicht die Missa Solemnis von Beethoven? Oder manches von Literaten oder von Malern, etwa von van Gogh? Wie auch immer: „Jesus der Retter ist – in gewisser Hinsicht – da“. Und das heißt: Jesus als Mensch inspiriert uns zu einem menschlichen, freildichen Leben als Praxis.

Rettung – dieses große Wort – erhält so ein Gesicht, eine historische Konkretheit. Rettung ist dann etwas anderes als ein transzendentes, als ein nur innerliches Geschehen der Versöhnung, das sich abstrakt „himmlisch-irdisch“ zwischen Gott – Vater und seinem „eingeborenen“ Sohn „abspielt“.

11.
“Rettung der Welt”, ökologisch, friedenspolitisch, im Sinn der Menschenrechte… wird zur Aufgabe der Menschen, die Weihnachten feiern. Aber dies nicht als Last, nicht als Fremdbestimmung, sondern als Form, das eigene menschloche Wesen zu leben, lebendig zu sein.

Weihnachten ist das „Eingedenken“ an Jesus von Nazareth, den universalen Lehrer der Weisheit, den Propheten. Den Juden, der in seinem Leben und in seiner religionskritischen Lehre aus dem Judentum herausgewachsen war und deswegen für alle Menschen aller Kulturen inspirierendes Vorbild sein kann.  LINK

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Aktualisiert am 19. Dezember 2025 durch CM

Mit Kompromissen leben. Aber nicht mit „faulen Kompromissen“

Ein Hinweis von Christian Modehn …   zu einem aktuellen Thema: Dem Krieg Russlands/Putins gegen die Ukraine und einem möglichen Frieden.Wird da ein “fauler Kompromiss” ausgehandelt? Sehr wahrscheinlich! 

1.
Über Kompromisse wird jetzt wieder oft (nicht nur von Politikern) gesprochen. Mehr Klarheit über Kompromisse zu finden, ist sicher eine dringende Aufgabe. Dabei wird über Kompromisse in der Philosophie, der Ethik oder der Politologie eher selten diskutiert.

2.
Ein treffender Einstieg in die Diskussion über Kompromisse ist die Erkenntnis: Das menschliche Leben ist von vornherein und von Beginn des individuellen Lebens an von Kompromissen bestimmt. Schon allein die Entscheidung für einen Vornamen des Neugeborenen ist oft Ausdruck eines Kompromisses. Daher wohl die vielen Doppelnamen, „Rolf-Sebastian“ nimmt Bezug auf die Verwandten von Mutter und Vater…
Oft wird über die Kinder durch Kompromisse verfügt. Etwa: Wann der Vater das Kind besuchen kann im Fall einer Trennung von der Ehefrau. Auch die Entscheidung für eine Schule ist oft Ausdruck eines Kompromisses. In unserem Leben werden uns ständig Kompromisse zugemutet, die wir als „Alltags-Kompromisse“ explizit so gar nicht benennen. Etwa: Wenn der eine in der Partnerschaft/Ehe eher seinen Urlaub am Meer, der andere in den Bergen verbringen will: Anstatt die kurze Urlaubszeit auf verschiedene Orte aufzuteilen, wird man entscheiden: In diesem Jahr ans Meer, im nächsten Jahr in die Berge. Das schlichte Kompromiss – Beispiel soll nur zeigen: Wir machen ständig Kompromisse, und wir müssen sogar ständig Kompromisse machen, um ein halbwegs harmonisches Miteinander erleben zu können.

3.
Der Philosoph Avishai Margalit (lehrte an Unis in Jerusalem und Princeton) schreibt in seiner Studie „Über Kompromisse und faule Kompromisse“ (Suhrkamp, 2011): „Der Kompromiss, der sich etymologisch von co-promissum, dem gegenseitigen Versprechen, herleitet, ist eine auf gegenseitigem Versprechen basierende Kooperation“ (S. 49). Und: „Der Kompromiss ist ein wesentliches Element bei der Verringerung der Spannung zwischen Kooperationen und Konkurrenz.“ (ebd.). Kein Mensch erreicht in seinem Lebensentwurf und seinem Zusammenleben mit anderen, die völlige Durchsetzung bzw. Realisierung seiner eigenen Werte und Vorstellungen. „Die Umstände zwingen uns dazu, uns mit weit weniger zufrieden zu geben, als wir eigentlich wollen. Wir schließen einen Kompromiss.“ (Margalit, S. 14). Und genau diese Kompromisse als Notwendigkeit eines humanen, gleichberechtigten Zusammenlebens, sind ein Gewinn, Kompromisse sind kein Verlust für die TeilnehmerInnen des Kompromisses. Sie können mit der teilweisen Realisierung ihrer Werte leben … und zwar freundschaftlich mit anderen, die um meinetwillen auch mit der teilweisen Realisierung ihrer Werte zufrieden sind bzw. sich zufrieden geben müssen. Will ich total meine Werte immer und überall durchsetzen, bin ich schnell allein und isoliert. Nur Anhänger von Sekten oder fundamentalistischen Organisationen können im Ernst diese Position vertreten.

4.
In Demokratien bilden mehrere Parteien oft eine Koalition: Und diese kommt durch Kompromisse zustande: „Einen Kompromiss einzugehen heißt also, ein bestimmtes Ergebnis unter bestimmten Bedingungen für vorzugswürdig zu halten, nicht jedoch, es zu seiner eigenen Meinung machen zu müssen. Kompromiss ist eine Technik des gegenseitigen Nachgebens: Von den 100 Prozent des Parteiprogramms zu den X-Prozent der Koalitionsvereinbarung. Alle, die nachgeben, kriegen nicht, was sie wollten, aber alle kriegen eine Durchsetzungschance für Teile ihres Programms,“ so Oliver Lepsius in der Monatszeitschrift Merkur, Heft 919, Dez.2025.

5.
Demokratie lebt nur durch Kompromisse. Wer den Erhalt der Demokratie will, muss seinem demokratischen politischen Gegner nachgeben, weil er Demokratie will, dadurch bleibt er beteiligt an der Regierung und kann auch politisch mitgestalten. „Ohne Kompromisse besäßen wir als politisch handelnde Gemeinschaft keine Einigung, Orientierung und Handlungsgewissheit.“ (Oliver Lepsius). Ein Kompromiss ist also kein Verlust, kein Defizit, sondern ein Gewinn, schreibt Oliver Lepsius, „um politische Meinungen und Überzeugungen in Entscheidungen zu verwandeln“, um etwa zu einer handlungsfähigen Koalition in einer Demokratie zu kommen.

6.
Ein Kompromiss ist mit einem Konsens NICHT identisch: Ein Konsens ist eine Übereinstimmung aller Beteiligten, die zu einer und demselben Überzeugung gelangt sind, also einer einzigen Meinung sind. Bei einem Kompromiss hingegen hat jeder, der mit dem anderen diese Entscheidung für den Kompromiss eingeht, nach wie vor seine eigene, seine von dem anderen verschiedene Meinung. Aber die totale Durchsetzung der eigenen Meinung stellen beide Parteien für die gemeinsame Arbeit oder für die Zeit des gemeinsamen Lebens zurück. Jeder Kompromiss kann neu verhandelt werden.

7.
Es gibt auch die „faulen Kompromisse“, die – wie der Name sagt – widerlich sind und „stinken“. Und faul heißen sie auch, weil die eine Seite und deren Verbündete offenbar auch „faul“ im Nachdenken waren, so dass der Gegner über den anderen sich durchsetzen konnte. Tatsächlich sind „faule Kompromisse“ Realität im Umgang mit Diktatoren und anderen politischen Verbrechern, etwa Aggressoren im Krieg.
Ein fauler Kompromiss ist eine Übereinkunft, „die um jeden Preis vermieden werden muss“, schreibt Avishai Margalit (S. 109). Und auf S. 108: „Ein Kompromiss ist nur dann faul, wenn er ein unmenschliches Regime etabliert oder stützt.“

8.
Man denkt bei dieser Bewertung naheliegend an den Krieg, den die Russische Föderation, mit ihrem Präsidenten Putin, gegen die Ukraine schon vor Jahren begonnen hat (Krim-Annexion 2014), und den Russland seit dem 24.2. 2022 noch umfassender und brutaler führt.
Eines Tages wird es wohl Frieden geben. Und Demokraten und Putin-Feinde in aller Welt, vor allem das ukrainische Volk, werden dann ihre vertraute Ukraine in den ihnen vertrauten und selbstverständlichen Grenzen von 2003 nicht mehr erleben. Denn: Dass die Ukraine und ihre Verbündeten dieses Russland, Putin, besiegen und dadurch zur Rückgabe der besetzten ukrainischen Gebiete zwingen können, ist leider eher unwahrscheinlich. Zumal wenn man an die völlig unklare Russland-Politik von Mister Trump denkt.
Es wird also – leider – einen faulen Kompromiss als Friedensvertrag geben, der allein deswegen vereinbart wird, um der tötenden und zerstörerischen Gewalt Russlands ein Ende zu setzen.

9.
In dieser durchaus abstrakt erscheinen Überlegung ist es wichtig: Dieser faule Kompromiss zwischen Russland und der Ukraine hatte als Voraussetzung schon faule Kompromisse vor Kriegsbeginn im Jahr 2022: Als nämlich Jahre zuvor schon die westlichen Demokratien, die EU, besonders Deutschland, um des eigenen ökonomischen Vorteils willen, Verträge mit Russland abgeschlossen hatten, bezogen auf die „günstigen“ Öl -und Gas-Lieferungen Russlands. Aus ökonomischem Egoismus der europäischen Staaten wurden die kriegerischen Aggressionen Russlands gegen Georgien (die georgischen Territorien Abchasien und Südossetien sind seit 2008 von Moskau abhängig) und gegen die Krim (2014) dann aus ökonomischen Gründen übersehen. Dies waren bereits faule Kompromisse mit Putin, in denen sich Demokratien auf den Diktator Putin einließen, diese faulen Kompromisse stärkten den Diktator und ermöglichten ihm den Krieg seit 2022… Und eines Tages wird zu einem noch viel umfassenderen „faulen Kompromiss“ kommen, zum Schaden der Ukraine und letztlich zum Schaden des von Russland bedrohten Europa.

10.
Man muss fragen, ob es Kompromisse auch für Gesellschaften und Organisationen geben kann, die behaupten, „die“ Wahrheit total auf ihrer Seite zu haben. Etwa die göttliche Wahrheit in den Religionen, zum Beispiel auch im Katholizismus. Damit sind wir bei der Frage: Gibt es, gab es, Kompromisse innerhalb der katholischen Kirche? Einer Kirche, die von sich selbst offiziell behauptet, „allein selig-machend“ zu sein. Ist eine solche Organisation zum Kompromiss fähig?
Kompromiss setzen in unserem Fall gegenüber dem Papst usw. die kritischen Katholiken voraus, die Kompromisse als Reförmchen fordern. Bestenfalls kann dann von sehr bescheidenen Kompromissen die Rede sein: Zum Beispiel: In vielen Ländern dürfen seit einigen Jahren, durch bischöfliches Entgegenkommen gegenüber den „Laien“, nun auch Mädchen als Ministrantinnen dem Priester am Altar zu Diensten sein. War es ein Kompromiss, als der Papst auch die Feuerbestattung den Katholiken erlaubte? War es ein Kompromiss, als im 2. Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit offiziell anerkannt wurde? Sicher waren es Kompromisse, weil die Kirchenführung spürte, ohne solche Zugeständnisse würden noch mehr Leute die Kirche verlassen oder die Kirchen stände sehr sehr blamabel in der Moderne da. Weil aber die katholische Kirche keine Demokratie ist, in der Kompromisse üblich und angesehen sind, nannte also diese Kirche ihre Kompromisse Reformen. Aber eben nicht eine „Reformation“, denn diese würde das System dieser Kirche erschüttern.

Sehr ausführlich äußert sich zu diesem philosophisch vernachlässigten Thema „Kompromiss“ Véronique Zanetti, in „Spielarten des Kompromisses“, Suhrkamp, 2022.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

José Antonio Kast: Chiles rechtsradikaler Präsident: Katholisch in der „Schönstatt-Bewegung“

Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.12.2025. Nun hat “Schönstatt” am 18.12.2025 zur Wahl des Marien-Freundes und Schönstatters José Antonio Kast Stellung genommen. Siehe Nr. 7 in diesem Hinweis.

1.
José Antonio Kast wurde zum Präsidenten Chiles am 14. Dezember 2025 gewählt. Er gibt offen zu, den rechtsradikalen Diktator Chiles, Augusto Pinochet zu schätzen: „Kast versicherte am 9.November 2017: Wenn Pinochet noch lebte, würde er ganz klar mich wählen“ (Quelle: El Mercurio On-Line, 9.9.2017.) Der Diktator Pinochet herrschte, von den USA eingesetzt, von 1973-1990.
Kast ist stolz darauf, sehr rechts, rechtsextrem zu sein und in seiner Moral extrem konservativen Dogmen zu folgen: Gegen Schwangerschaftsabbruch, gegen „Ehe für alle“ usw. „Ich bin als Katholik in die Politik eingetreten; zuerst bin ich katholisch, dann bin ich ein Politiker; zuerst bin ich Vater einer Familie, dann bin ich ein Politiker,“ berichtet „info vaticana“ zu einer Stellungnahme Kasts im Jahr 2023. LINK
Der neue Präsident Chiles Kast will die Armut und die oft von Armut beförderte Kriminalität bekämpfen durch eine Art Polizeistaat der Kontrollen, Vertreibungen (von Ausländern, Flüchtlingen…) , Repressionen…Trump zeigt, wie es geht…Trump sagte zum Wahlsieger Kast: „He’s a very good person.“

Zu Pinochet und die katholische Kirche in Chile siehe LINK:

2.
Es wird in den Analysen zur Wahl José Antonio Kasts zum Präsidenten Chiles nie ausführlich dokumentiert: Kast ist seit vielen Jahren aktives Mitglied der internationalen katholischen „Schönstatt – Bewegung“. Ohne diese Bindung an die Spiritualität dieser von Rom so genannten „neuen geistlichen Gemeinschaft“ innerhalb der Kirche wird man Kasts politische- ethisch – extrem konservative Grundüberzeugung nicht verstehen. In dieser Mischung aus dem für „Schönstatt“ mysteriösen Marien-Kult („Die dreimal wunderbare Mutter“), der nur hetero-normativ zu verstehenden Ehe sowie in der Bevorzugung der Wohlhabenden in der Theologie von „Schönstatt“ ist Kasts politisches Programm sichtbar… Dass Kasts Vater überzeugter Nazis war und nach dem Krieg – wie andere Nazis – nach Chile auswanderte, ist eine Tatsache.

3.
Die Schönstatt Bewegung ist, kurz gesagt, eine aus Deutschland stammende, sehr auf Maria, die sogenannte „Gottesmutter“, fixierte Frömmigkeitsbewegung mit ca. 100.000 Mitgliedern heute, berichtet die katholische Tageszeitung La Croix am 7.7.2020. „Schönstatt“ ist in Chile stark vertreten, vor allem unter gut-bürgerlichen Familien, die das klassische Familien-Ideal lieben. „Schönstatt Chile” leitet auch eigene Privatschulen.
Gründer dieser Marien-frommen Bewegung ist Pater Josef Kentenich (1885-1968): Er hat auch seine Ideen verbreitet zur Pädagogik: Jedes Mitglied seiner Bewegung solle über die Marienverehrung hinaus sein „persönliches Ideal“ finden. Über Details kann man sich über wikipedia „Schönstatt“ informieren.
„Schönstatt“ stand auch im Mittelpunkt öffentlichen Interesses wegen der zahlreichen Berichte über sexuellen Missbrauch unter prominenten „Schönstatt“ – Bischöfen in Chile und wegen der Berichte über sexuellen Missbrauch durch den Gründer „Vater“ Pater Kentenich. 2018 hat Papst Franziskus den ehemaligen Erzbischofs von La Serena, Francisco José Cox Huneeus, aus dem Priestertum ausgeschlossen, er gehörte der Schönstatt- Bewegung an und war schon Anfang der 2000er Jahre wegen sexuellen Missbrauchs gegen Minderjährige angeklagt worden. Erst Im Jahr 2018 bestrafte ihn der Papst mit der Versetzung in den Laienstand…Heftige Kontroversen wegen der Vertuschung von sexuellem Missbrauch gab es auch mit Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa, Mitglied von “Schönstatt”. Er wurde von den Opfern des in ganz Chile  bekannten sexuellen – Missbrauchs -Priesters Fernando Karadima angeklagt (LINK. ) und beschuldigt, die Beschwerden der Opfer gegen diesen ehemaligen Pfarrer Karadima
zu vertuschen. (LINK )

4.
Der Religionsphilosophische Salon Berlin hat schon 2022 einige wichtige Hinweise zur Verbindung von José Antonio Kast mit der Schönstatt-Bewegung publiziert. Vieles, was damals gesagt wurde, ist auch heute gültig. „Schönstatt“ in Chile (und nicht nur dort) hält sich zu seinen politischen Interessen sehr bedeckt, wie alle der so genannten neuen geistlichen Bewegungen. Welche Zeitschrift, welches Universitätsseminar hat schon etwas von der politischen Orientierung etwa der Millionen, die dem „neokatechumenalen Weg“ folgen, freigelegt und dokumentiert oder von der sehr konservativen theologisch – politischen Haltung der vielen hundert neokatechumenalen Priester nicht nur in Deutschland, sondern weltweit?
Zur politischen Orientierung von Schönstatt in Chile hatte sich am 28.10.2019 Patricio Young, Sozialarbeiter und Mitglied der chilenischen Schönstatt Bewegung geäußert, ein für katholische Verhältnisse mutiger Insider: „Wir sind eine Oberklassenbewegung. Wir bestehen hauptsächlich aus Familien aus der mittleren, oberen und höchsten Schicht. Abgesehen von Carrascal befinden sich unsere Heiligtümer in privilegierten Stadtteilen. Unser Vater hätte nur in der Pater-Kentenich-Schule in Puente Alto (sozialer Brennpunkt) zur Schule gehen können, der einzigen, die völlig kostenlos ist. Es gibt in unseren anderen Schulen einige wenige Schüler, die subventioniert werden, aber die große Mehrheit ist für Kinder der Oberschicht, obwohl das dem einen oder anderen Pater, den ich dazu öffentlich hinterfragt habe, nicht gefällt – abgestritten hat es aber auch keiner“. LINK

5.
Diese kritische Stellungnahme von Patricio Young „aus dem Inneren“ der Bewegung ist eine Ausnahme. Bisher konnte ich noch keine Stellungnahme von Schönstatt/Chile oder in den deutschen Schönstatt-Medien zum Sieg des Schönstatt-Mitglieds und reaktionären Politikers José Antonio Kast finden. Also eines Katholiken, der den Diktator Pinochet noch heute achtet und schätzt.
Chiles Bischöfe haben sich nach dem Sieg Kasts eher zurückhaltend geäußert, also nicht so, dass ein „Sohn der Kirche, ein Marien-Freund, Präsident wird“. Das nicht. Aber die Bischöfe wissen zu schätzen, dass Kast in seiner offiziell katholischen Moral selbstverständlich pro life – orientiert ist, also gegen Abtreibung und gegen „Ehe für alle“ kämpft. Aber die Bischöfe erinnern ihren Marien-Freund Kast, dass er sich als Präsident um das Gemeinwohl zu kümmern habe und bitte auch die Menschenrechte der Flüchtlinge zu respektieren habe. Dass zur Wahl Kast viele sehr rechtsgerichtete lateinamerikanische Präsidenten gratulierten, zeigt: Die Führer der herrschenden, offiziellen Politik stehen heute in Lateinamerika mehrheitlich sehr rechts. Und man wird sich im Falle Kasts die Mühe machen zu dokumentieren, wer seine Wahlkampagne finanziell unterstützt hat. Wie gesagt, Trump sagte zum Wahlsieg Kasts: „He´s a very good Person“…

6.

Die vielen so genannten “neuen geistlichen Bewegungen” der katholischen Kirche zeigen deutlich, welchen konservativ – reaktionären Überzeugungen sie folgen, dies ist eine gültige Erkenntnis der Katholizismusforschung, also der kritischen Theologie bzw. auch der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Diese “geistlichen” Gemeinschaften wurden ja mit dem Ziel gegründet, die “Neu-Evangelisierung” im Sinne der Päpste zu befördern. Aber viele dieser “Gemeinschaften” zeigen eher des häßliche Gesicht einer klerikal bestimmten Ideologie, man denke etwa an die Skadale der “neuen geistlichen Gemeinschaft” “Sodalicio” vor allem in Peru, “Sodalicio” wurde inzwischen von Papst Franziskus verboten.  Soldalicio hat aber viel Unheil in den Gemeinden Perus angerichtet. Man denke an die sexuellen Straftaten, die Priester aus dem Orden der “Legionäre Christi” begangen haben, ein Orden, den Papst Johannes Paul II. in höchsten Tönen öffentlich lobte. Man denke an die Skadale wegen der vielen neuen geistlichen Gemeinschaften im Bistum Toulon mit seinem reaktionären Bischof Dominique Rey (inzwischen von Papst Franziskus abgesetzt), man denke an den nun freigelegten massiven sexuellen Missbrauch im katholischen Geheimbund Opus Dei oder an den Missbrauch in der charismatisch -katholischen sehr konservativen Gemeinschaft Emmanuel usw. usw.

Wer diese neuen geistlichen Bewegungen näher , d.h. kritisch betrachtet, entdeckt dabei nur einen weiteren Aspekt der tiefsten Krise, in der sich der Katholizismus heute befindet: Die momentane mediale Begeisterung für Papst Leo XIV. verdeckt nur den faktischen Abschied vom Katholizismus in Europa: Katholiken verlassen scharenweise diese Kirche, in Holland, Belgien, Irland, Polen, Frankreich, Spanien, Deutschland, der Schweiz, Österreich usw. Statistisch alles tausendmal nachgewiesen. Es ist eine Tatsache: Wenn und wo KatholikInnen ein gewisses kritisches Bildungsniveau haben, wenden sie sich von dieser Kirche ab: Warum? Weil diese “ihre” einstige Kirche absolut stur jegliche Gleichberechtigung der Frauen ablehnt, weil sie an dem Wahnsinn des Zölibat-Gesetzes festhält, weil sie uralte Dogmen nur repetiert, weil ewig und überall dieselbe Messe feiert in einer erstarrten Sprache und so weiter und so weiter…

7.

Am 18. Dezember 2025 hat die Schönstatt-Bewegung – endlich – zur Wahl ihres Mitgliedes José Antonio Kast zum Präsidenten Chiles einen kurzen Beitrag veröffentlicht, mit einigen Fotos der sooo glücklichen Familie mit neun (9) Kindern; der kurze Beitrag, der Kast als einen soliden, freundlichen Demokraten herausstellen soll, endet mit den Worten: “Die Schönstatt-Bewegung unterstützt zwar wie die Kirche weder politische Parteien noch Kandidaten, aber sie ermutigt alle Laien, als Salz der Erde und Licht der Welt aktiv zu sein.” (Was ist das für eine falsche Behauptung: Die katholische Kirche unterstützt(e) doch immer rechte politische Parteien weltweit, auch Faschisten…, CM).  Und weiter sagt Schönstatt: “In diesem Sinne sind alle eingeladen, für die Familie Kast zu beten, damit Gott sie in den kommenden Jahren führt und Chile sich als „glückseliges Abbild des Gartens Eden” (Auszug aus der Nationalhymne) und als gesegnetes und prosperierendes Land weiterentwickeln kann.”

Wie bitte? Mit einem rechtsradikalen Präsidenten Kast wird es ein “Abbild des Gartens Eden” in Chile geben? Für wie naiv halten die Schönstätter die Menschen? Im “Garten Eden” fand bekanntlich der Sündenfall statt, also dort wurde die Erbsünde in die Welt gesetzt, wie die Dogmen behaupten. Hoffentlich findet in dem “Garten Eden Chile” unter dem rechtsradikalen José Antonio Kast nicht erneut eine schwere Sünde statt, nämlich eine Herrschaft nach der Art von Pinochet! Es ist dieses Verschweigen der Fakten, “Kast ist ein Rechtsradikaler”, das jegliche Achtung vor diesen offiziellen Kommentaren zerstört, diese sind wie üblich nur defensiv, nur “pro domo”, sagen nur einen kleinen Teil der Wahrheit… Das ist katholische “Öffentlichkeitsarbeit”….

LINK 

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Weihnachten kritisch feiern: Ein aussichtsloser Vorschlag?

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. Zur Einstimmung:
Auch religiöse Feste, selbst wenn sie jetzt mehr säkular als christlich sind, bleiben Thema der Philosophie und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie, kritische Reflexion gilt selbstverständlich auch dem Weihnachtsfest. Dabei will Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie nicht die Freude am Fest zerstören. Wir sind aber sicher: Bewusste und das ist immer kritische Kenntnis dessen, was wir da zu Weihnachten feiern, kann das Fest auf ein geistvolles, auf vernünftiges Niveau heben und die „Weihnachtsemotionen“ mit dem üblichen „Weihnachts-Kaufrausch“ etwas korrigieren… um mit Verstand zu feiern.

2. Das Übliche
Beim Feiern von Weihnachten glaubt jeder und jede, was er, was sie, persönlich hübsch und beruhigend findet, was alles die „Gemütlichkeit“ fördert. Oder was Kindheitserinnerungen weckt im Gedenken an „Leise rieselt der Schnee“, oder an die „Stille Nacht, in der alles schläft..“ bis zum schnell daher gesungenen Bekenntnis „Christ der Retter ist da“. Wobei wahrscheinlich fast niemand unter den Singenden diese Rettung hier und jetzt schon sieht und spürt… in dieser verrückten Welt der Kriege mit einigen so genannten „Spitzenpolitikern“ der „Weltmächte“, die viele Beobachter ehrlicherweise Verbrecher nennen. Gedankenlos besingt man also weiter das „Kind, zu Bethlehem geboren“. Bestenfalls kommen dann ein paar Tränen der Sehnsucht nach Frieden. Dass Bethlehem heute im Westjordanland liegt, wird bei diesem Kindlein vergessen, also in einer Region, in der jüdisch-ultra-orthodoxe Siedler ungehindert die muslimischen und manchmal noch christlichen Palästinenser attackieren und vertreiben.

3. Weihnachten ist ein MARKT
Wie umfassend, vielleicht: wie unentrinnbar total hat eigentlich die Kommerzialisierung von Weihnachten das „Eigentliche“ des Weihnachtsfestes verdorben? Bester Ausdruck dafür sind die kaum nicht zu zählenden allüberall…Der Markt ist bekanntlich Inbegriff des Kapitalismus: Weihnachts-Märkte mischen also Restbestände des Heiligen, die Erinnerung an die Geburt eines göttlichen Kindes, mit den offenbar unbesiegbaren Interessen des Kapitals. So werden Geschenk-Zwänge geweckt und gefördert. Und einige Kirchenführer schätzen den weihnachtlichen Kaufrausch des Marktes offenbar hoch ein, indem sich etwa die Berliner Bischöfe, katholisch und evangelisch, ökumenisch diesmal ganz einer Meinung, dazu hergeben, seit Jahren schon die Weihnachtsbeleuchtung in Berlin oder nun auch in Potsdam an zentraler Stelle der Einkaufs-Boulevards „einzuschalten“, in vertrauter Gemeinschaft mit dem Präsidenten des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. LINK.

4. Weihnachtsmarkt als Rummel
Treffender Ausdruck für das Verschwinden von Weihnachten im Marktgeschehen ist das Spektakel „Winterzeit” in Berlin -Lichtenberg 2025. Es ist von jeglichem Hauch der Erinnerung an einen christlichen oder religiösen Restbestand von Weihnachten befreit. Man könnte sich theologisch weit vorwagen und kapital/marktfreundlich behaupten: „Die Freude an diesem Rummel ist eine anonyme Freude über die Geburt Jesu von Nazareth.“

5. Maria ist keine a-sexuelle Jungfrau
Der Religionsphilosophische Salon hat früher schon darauf hingewiesen, dass die im Neuen Testament erzählten Geschichten von Jesu Geburt kritisch erforscht und gedeutet werden müssen. Wir haben darauf hingewiesen, dass Bibelwissenschaftler sehr genau etwa die Erzählungen des Evangelisten Markus betrachten: Das älteste Evangelium des Autors Markus deutet an, dass Josef nicht der leibliche Vater Jesu sein kann. Im 6. Kapitel berichtet Markus , wie Jesus von seinen Landsleuten in aller Öffentlichkeit als „der Sohn der Maria“ bezeichnet wird. Diese Aussage ist sensationell: Einen Mann nicht nach dem Vater, sondern nach der Mutter zu benennen, war in der damaligen Kultur Ausdruck für eine uneheliche Herkunft. Nur illegitime Söhne wurden damals nach der Mutter benannt. Noch weiter gehen die Erkenntnisse der Bibelwissenschaftlerin Prof. Luzia Sutter-Rehmann von der Uni Basel: „Da gibt es auch Forschungen von Jane Schaberg, die gezeigt hat, dass es zu Zeit der römischen Besatzung in Palästina sehr gut möglich wäre, sich Maria als, ja sag ich mal, Opfer von Soldaten vorzustellen. Junge Mädchen wurden da irgendwie schwanger, man weiß nicht von wem. Da waren keine geordneten Verhältnisse, da waren Landbesitzer oder Beamte oder Männer, die das junge Mädchen sexuell überwältigt haben. Die Lebensumstände im 1. Jahrhundert in Palästina waren nicht einfach für junge Mädchen. Das ist sicher.“
Wenn man diesem Forschungsergebnis folgt: Dann ist Jesus als uneheliches Kind anzusehen, und Josef ist sein Stiefvater. Diese Erkenntnis klingt in den Ohren einiger Christen vielleicht befremdlich, aber für die Bibelwissenschaftlerin Luzia Sutter-Rehberg wird die so „un-bürgerliche“, eher randständige Herkunft Jesu“ gerade entscheidend für einen Jesus, der die Armen und Ausgegrenzten besonders liebte. (Quelle: Ra­dio­sen­dung über Maria im RBB von Christian Modehn am 25.12.2009. )
Wir haben mehrfach auf Studien hingewiesen, die zeigen: dass der Titel „Jungfrau Maria“ überhaupt nicht auf eine sexuelle Unberührtheit Marias hinweist, sondern schlicht Maria als junge Frau bewertet, die mit ihrem Mann Josef selbstverständlich sexuelle Kontakte hat. Sonst gäbe ja nicht die im Neuen Testament genannten Geschwister Jesu von Nazareth.

6. „Befreien wir das Weihnachtsfest von kolonialem Denken.“

Selbstverständlich wurde die Weihnachtsgeschichte der Evangelien auch von Missionaren im kolonialen Zusammenhang den „Heiden“ erzählt oder missionarisch eingepaukt. Man spreche mit alten Missionaren etwa aus Chile, die Weihnachten zur dortigen Sommerzeit feiern und die aus Europa importierten (kolonisierten) Weihnachtslieder sangen mit dem nun mal dort besungenen Schnee oder mindestens der Kälte in der Hütte zu Bethlehem. Genauso wichtig ist es, dass Christen wissen: Auch in der islamischen Tradition, im Koran, ist von dem Propheten Jesus und seiner Mutter Maria die Rede. Um so erfreulicher, dass in der Baptisten-Gemeinde in Berlin – Charlottenburg ein Projekt, eine Ausstellung mit Interviews usw., im Dezember 2025 gestartet wurde mit dem sehr treffenden Auftrag: „Decolonizing Christmas“, also „Befreien wir das Weihnachtsfest kolonialem Denken.“ Es wird also zurecht gefordert: Vergessen wir das kritische Nachdenken nicht, wenn wir uns mit den Weihnachtserzählungen befassen und Weihnachten feiern. Die Tageszeitung TAZ hat über diese Initiative ausführlich und objektiv berichtet: Es handelt sich um ein gemeinsames Projekt der Friedensgemeinde der Baptisten, dort besonders des Referenten für „Kirche und Gesellschaft“, des christlichen Theologen Bastian Schmidt und der islamischen Theologin Gökçe Aydın vom Institut für Islamische Theologie der Humboldt-Universität (HU). Das angesehene „Berliner Forum der Religionen“ hat dieses Projekt unterstützt. LINK .Dieses „Berliner Forum der Religionen“ schreibt: „Warum ist das Projekt wichtig? 
Weihnachten ist mehr als nur Tradition, es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. In einer Zeit, in der Religion oft trennt, wollen wir zeigen: Dialog verbindet. Lasst uns gemeinsam herausfinden, wie wir koloniale und diskriminierende Bilder hinterfragen und neue politische Wirklichkeiten schaffen können, voller Respekt, Humor und Offenheit. Gemeinsam wollen wir die christliche Geschichte reflektieren und sie gesellschaftlich nutzbar zu machen.“
Die Veranstaltung der Friedenskirche wird sinnvollerweise durch die „Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gefördert.

7.Die Springer – Presse mit WELT-TV vernichtet dieses Projekt.
Leider hat die Springer – Presse heftig und pauschal gegen dieses Projekt Stellung genommen, es erstaunt, dass die eigentlich liberale Gründerin der liberalen Moschee in Berlin heftig gegen dieses Projekt in Springer -. Medien austeilt. Ein Freund fragt: Ist Frau Seyran Ates etwa böse, dass nicht sie an dem Projekt mitwirken durfte? Es wurden dann ungeheuerliche Behauptungen verbreitet, etwa: Weihnachten solle abgeschafft werden durch dieses Projekt usw… Auch der Tagesspiegel berichtete am 12. Dezember 2025 darüber: Berlins Ober-Bürgermeister Kai Wegner (CDU) schaltete sich ein und bedauerte, dass dieses sehr wichtige und der Aufklärung dienende Projekt vom Senat finanziell unterstützt wurde. Selbst die „Süddeutsche Zeitung“ hat am 13./14. Dezember 2025, Seite 19, von dem Projekt der Charlottenburger Gemeinde berichtet und treffend geschrieben: Der Fernsehsender WELT-TV sei „immer bereit, sich auf Kulturkämpfe einzulassen“. Wohl wahr: Es passt den Rechten und sehr Rechten (Medien und Politikern etwa in der CSU) nicht, wenn das christliche Weihnachtsfest auch in Beziehung zu islamischer Theologie in Beziehung gesetzt wird. Man darf niemals vergessen, dass der gegenwärtige Innenminister Alexander Dobrindt, ein Katholik, den Islam schon 2018 aus Deutschland ausgrenzte, weil „er nicht prägend und sei und es auch nicht werden solle“. Wir zitieren aus der Evangelischen Zeitung „Sonntagsblatt“ vom 20. Mai 2025, Oliver Marquart schreibt: „Dobrindt stellte die pauschale Behauptung auf, Werte wie Toleranz oder Nächstenliebe fänden sich in der “islamischen Welt” (was auch immer das sein mag) “so nicht wieder”.  Nun beinhaltet eine derart starke Aussage zum einen stets ein sehr hohes Risiko, an der Realität zu scheitern. Zum anderen spricht er damit Muslim*innen in Deutschland und weltweit eiskalt demokratische Reife ab und widerspricht jeder Form religiöser Gleichbehandlung. Wieder einmal nutzte also ein Politiker das Christentum im Sinne eines Kulturkampfes, um es gegen andere Religionsgemeinschaften in Stellung zu bringen.“ Wenn die „Süddeutsche Zeitung“ wie gesagt von Kulturkampf spricht im Umgang mit der wichtigen und richtigen Veranstaltung „Decolonize Christmas“, dann muss eben auch Dobrindt als einer der Kulturkämpfer an vorderster Front erwähnt werden, der sozusagen die Mentalitäten der Offenheit, der freien Forschung, des Respektes vor dem Islam und islamischer Theologie verdorben hat…

8.
Zum Projekt „Decolonize Christmas“ gehörte eigentlich auch die Kritik an den Handelsbedingungen der westlichen Kakao-Giganten mit den Kakao-Produzenten etwa in der Elfenbeinküste, die nur einen verschwindenden Anteil am Verkauf des Kakaos in der Schokolade-konsumierenden reichen Welt erhalten. Zum Projekt „Decolonize Christmas“ würde auch gehören, dass wie Reichen (auch die reichen Christen Deutschlands) auf die verheerende Armut der Menschen im globalen Süden nach wie vor nur mit Almosen antworten,Spenden genannt. Gerechtigkeit und Respekt vor dem in Armut geborenen Jesu von Nazareth sieht anders aus. Aber die Kirchen fordern nach wie vor Spenden – wie in Kolonialzeiten schon (man denken an die Statue des bei jedem Groschen dankbar “nickenden Negers“). Das System, das die globale Armut erzeugt und die Politiker, die das ungerechte System unterstützen und von ihm profitieren, werden von den Kirchen heute viel zu selten benannt. Sie sind hierzulande von der Gunst der Politiker abhängig … und die Gunst der Politiker und ihrer Lobbyisten ist ihnen wichtiger als radikale, aber treffende Kritik am ausbeuterischen hiesigen Wirtschaftssystem.

9. Die veranstaltende Gemeinde der Baptisten resigniert und unterwirft sich der Macht der Springer – Presse.

Das Projekt „Decolonize Christmas“als Diskussions – und Bildungsveranstaltung in der Charlottenburger Baptistenkirche ist erst mal gestoppt un damit gescheitert. Die Leitung der Friedenskirche, eingeschüchtert von der in Berlin immer noch mächtigen Springer – Presse, distanziert sich sogar öffentlich von dem eignenen Projekt, auch wenn sie das Thema irgendwie noch wichtig findet. „Als Friedenskirche Charlottenburg bekennen wir uns ausdrücklich zum theologischen Kern der Weihnachtsbotschaft, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Von allen Aussagen, die dem entgegenstehen, distanzieren wir uns klar.“ In den weiteren Aussagen der Baptisten der Friedensgemeinde wird deutlich: Die sehr Bibel-gläubige (im wortwörtlichen Verstehen der Texte)  Baptisten -Gemeinde  hat Angst vor ihrer eigenen Courage. Und das ist schon eine Katastrophe, weil einzig die kritische Bibellektüre und die kritische, vom Dialog mit anderen Religionen lernende christliche Theologie als Wissenschaft heute angemessen ist. Bedauerlich ist auch, dass offenbar andere christliche Kirchen in Berlin dieses Projekt jetzt nicht öffentlich unterstützen.  LINK

10. Zu Weihnachten bitte nichts Kritisches über Weihnachten
Was lernen wir daraus? Die bürgerlichen, sich christlich nur noch nennenden PolitikerInnen und ihre rechten Medien wollen sich ihre Weihnachtslaune durch kritische Ausstellungen und Veranstaltungen nicht nehmen lassen, und sie werden dabei ausgerechnet noch von einer liberalen Imamin unterstützt. Diese Leute meinen, über Weihnachten verfügen zu können, sie wollen keine kritischen, nachdenkliche Gedanken, sie wollen Weihnachten offenbar weiterhin als Fest des Konsums, des Trallala der alten, fast immer irgendwie infantilen Weihnachtslieder usw…

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

 

Papst Leo trifft im Vatikan sehr rechtslastige, rechtsradikale Politiker aus ganz Europa!

Der Beitrag des Papstes zum Fall der „Brandmauer“ gegen Rechtsextreme?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.12.2025

1.
Papst Leo hat am 10. Dezember 2025 PolitikerInnen in seinem Apostolischen Palast im Vatikan getroffen und mit einer freundlichen, leicht mahnenden Rede unterhalten. Die Papst – begeisterten PolitikerInnen sind Mitglieder der Fraktion ECR („European Conservatives and Reformists“.) Dazu gehören (Stand Dez. 2025) 79 Abgeordnete aus 18 Ländern. Die Fraktion nennt sich selbst „konservativ und demokratisch.“ Und diese eher normal und seriös wirkende Selbstbezeichnung glauben auch einige Leute, selbst im Vatikan, ganz offensichtlich selbst der Papst. Mit einem umfassenden kritischen politischen Wissen über diese Leute hätte der Papst – bei seiner kostbaren Zeit – den Empfang im wunderschönen „Salle Clementine“ ablehnen können … und statt dessen die sehr vielen frustrierten katholischen Frauen ins Gespräch eingeladen, Frauen, denen der Papst stur und steif immer noch den Zugang zum Diakonat verweigert, entgegen aller (!) theologischen Vernunft. So empfängt Papst Leo nun entgegen aller politischen Vernunft diese rechtsextremen Politikerinnen, die sich diplomatisch üblich-normal, aber verlogen „europäische Konservative und Reformer“ nennen.

2.
Die meisten dieser ECR Parteien sind in ihrer politischen Praxis und Theorie explizit z.B. gegen liberale, also humane und vernünftige Abtreibungsgesetze, sie verteidigen natürlich die hetero – normative Ehe, sie wehren sich gegen die umfassende Gleichberechtigung von queers, sie sind gegen die grüne Umweltpolitik und vor allem: Sie wollen mit aller Bravour ihre Länder von Flüchtlingen und Fremden, vor allem aus dem muslimischen Raum, absolut freihalten … mit ihrer restriktiven „Rückführungspolitik“. Aber, und das ist wichtig, diese PolitikerInnen geben sich als sehr christlich. Sie plustern sich auf als Verteidiger ihres christlichen Europa, ihres „Abendlandes“, dessen Werte sehen sie ausschließlich vom Christentum bestimmt. Neuerdings sind viele dieser sehr rechten, rechtsextremen Politikerinnen ganz offensiv plötzlich judenfreundlich geworden und nennen ihr kulturelles Ideal „jüdisch-christlich“, aber das behaupten sie nur, um ihre Ablehnung auf den Islam zu kaschieren. Eine verlogene Juden-Freundlichkeit wird benutzt gegen die Islamophobie!

3.
Die Begegnung des Papstes mit diesen Leuten fand am 10.Dez. 2025 statt, weil Giorgia Meloni, die Ministerpräsidentin Italiens, ihre FreundInnen vom ECR zu einer Konferenz nach Rom eingeladen hatte. Um sich die Gunst der vielen sehr konservativen, z.T. rechtsextremen Wähler zu erhalten, ist ein Besuch der Parlamentarier beim Papst immer hilfreich. Man bedenke, dass die polnische, sich sehr katholisch gebende PIS-Partei zum Club der ECR gehört, auch französische Politiker dieser Fraktion, wie Madame Maréchal, sind tief verwurzelt im katholischen Milieu. Zur rechtsextremen französischen Partei Reconquete und ihres Führers Eric Zemmour: LINK.

4.

Die katholische Ministerpräsidentin Italiens Giorgia Meloni gehört zur Partei „fratelli d Italia“, auch diese Partei ist Mitglied im Club der ECR. Madame Meloni war bekanntermaßen einst Mitglied der neofaschistischen Jugendorganisation der neofaschistischen Partei MSI; auch die Partei Fratelli d Italia gilt unter objektiven Politologen als „post-faschistisch“ und „rechtsextrem.“ Auch die „Schwedendemokraten“ gehören zur ECR Fraktion, auch sie gelten als rechtsextrem. Dasselbe gilt für die Partei „Wahre Finnen“, um nur einige weitere rechtsradikale Parteien im ECR zu nennen.

5.
Diese sehr rechtslastigen alles andere als Menschenrechts-freundlichen politischen Herrschaften also hat Papst Leo zu sich in den Apostolischen Palast geladen. Allein seine Bereitschaft, diese Leute ernst zu nehmen und mit einem Empfang beim Papst zu beehren, ist sicher hoch problematisch. Denn solch ein „Empfang beim Papst” wertet diese Parteien auf. Aber wenn der Papst schon die Chance hat, sozusagen dem sehr rechtslastigen Flügel Europas zu begegnen, dann nur unter der Bedingung: Diesen Leuten nicht nur behutsam und verständnisvoll ins Gewissen zu reden, sondern sie an die absolute Gültigkeit der Menschenrechte zu erinnern, also aller Welt deutlich freizulegen, dass diese Parteien und Politiker eine Ethik vertreten, die mit den zentralen Aussagen des Evangeliums und vor allem der Menschenrechte nicht zu vereinbaren ist.

6.
Aber nein, Papst Leo hat freundliche Worte gefunden, sogar den politischen Einsatz dieser Leute gelobt und vorsichtig Kritik geübt. Dabei ließ er keinen Zweifel, dass er mit diesen Rechtsextremen hinsichtlich der Abtreibungsgesetze und der Familien- Politik übereinstimmt! Der Papst stimmte auch mit diesen Leuten überein, als er – wie sie – die Wurzeln Europas ausschließlich im Christentum sah. Kein Wort also von den viel wichtigeren „Wurzeln“ Europas in der Philosophie der Aufklärung (Kant!) Und der absolut für alle geltenden Menschenrechte. Aber nichts davon sagte der Papst diesen sehr rechten und rechtsextremen Herrschaften. Und vor allem: Sind denn nicht die christlichen Wurzeln Europas vergiftet, durch Ketzerverfolgung, Judenverfolgung, Muslimverfolgung, Hexenverbrennung, Kolonialismus, Mord und Totschlag der christlichen Kolonialherren an indigenen Völkern, der Massenmord an den Juden durch die Christen und so weiter…Weiß dieser Papst überhaupt, was er da schwadroniert, wenn er mit den Rechtsradikalen von christlichen Wurzeln Europas phantasiert?

7.
Der vatikanische Pressedienst berichtet nur mit einigen Zitaten von der Ansprache des Papstes an die Rechtslastigen, Rechtsextremen; der vatikanische Pressedienst nennt wie die katholischen Medien kath.de diese Leute falsch und irreführend: Konservativ, mag ja sein, dass sie sich selbst so nennen. De facto sind sie es nicht… : LINK

Wir zitieren aus dem Bericht: „Namentlich erinnerte Leo XIV. an den Schutz des Lebens „von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod“ wie auch in der Mitte des Lebens. Hier verwies der Papst auf arme und ausgegrenzte Menschen und auch auf jene, die von „der anhaltenden Klimakrise, Gewalt und Krieg“ betroffen sind; das Wort Immigration vermied er.“ Soweit das Zitat. Angesichts dieser oft rechtsextremen Politiker, der Feinde einer humanen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, spricht der Papst selbst das Wort „Immigration“ nicht aus. Das kann man wohl nur Feigheit nennen oder soll das etwa als kluge Diplomatie des Staatschefs (des Papstes!) des Staates Vatikanstadt gelten ?
Wir zitieren weiter aus dem Vatikanischen Pressedienst: „Sicherzustellen, dass die Stimme der Kirche, nicht zuletzt durch ihre Soziallehre, weiterhin Gehör findet, bedeutet nicht, eine vergangene Epoche wiederherzustellen, sondern zu gewährleisten, dass wichtige Ressourcen für die zukünftige Zusammenarbeit und Integration nicht verloren gehen“, erklärte der Papst allgemein und verschwommen. Darüber hinaus rief Leo XIV. die „rechtskonservativen” Europa-Abgeordneten zu respektvoll geführten politischen Debatten auf.“ Wie nett und wie freundlich! Bitte, bitte, Rechtsradikale sollen doch respektvoll sein…

8.
Immer wieder also diese netten, harmlosen Worte aus päpstlichen Munde. Der Papst hat offenbar seine Rolle entdeckt als hilfloser und wirkungsloser Mahner, als freundlicher „Aufrufer“, als Verkünder abstrakter Weisheiten, als permanent irgendwelche Bittgebete Sprechender bei allen möglichen kleinen und großen schlimmen Ereignissen. Und er weiß offenbar nicht, dass er vor sehr rechtslastigen, de facto dem Evangelium und den Menschenrechten abgeneigten PolitikerInnen klare, harte Position eines Demokraten hätte zeigen müsste. Aber Moment mal: Der Papst und seine Kirche verstehen sich ja in ihrer Gesetzgebung explizit als nicht – demokratisch. Und die Erklärung der Menschenrechte hat der Vatikan nicht unterschrieben: Fühlen sich Päpste und hohe Kleriker im Milieu von demokratieskeptischen, also rechtslastigen Politikern besonders wohl? Historisch stimmt das: Mit Mussolini hat sich Pius XI. recht gut verstanden und Pius XII. war letztlich doch sehr zurückhaltend in seiner öffentlichen Kritik am Nazi-Regime. Er hielt den Kommunismus für gefährlicher …oder war das nur seine päpstliche Ausrede?…

9.
Wenn man den Empfang des Papstes für die Politikerinnen rechtslastiger und rechtsextremer Parteien für einen Augenblick nach Deutschland überträgt: Der Papst hat am 10.Dez. 2025 die berühmte „Brandmauer“ ein bißchen zerstört, die Brandmauer, die zurecht in Deutschland von demokratischen PolitikerInnen gegenüber der weithin rechtsextremen Partei AFD „gebaut“ wurde. Ich glaube, Papst Leo hat mit dem offiziellen Empfang dieser Politiker in seinem Palast die rechtsextreme Bewegung leider aufgewertet. Das sollte jeder Demokrat eigentlich eine Schande nennen. Und Katholiken, die kritisch denken, ebenso.

10.
Es ist bezeichnend, dass die Ansprache des Papstes vor diesen sehr rechtslastigen Politikern aus ganz Europa im sonst sehr umfassend dokumentierenden vatikanischen Pressearchiv bis jetzt nicht zu finden ist. War das Treffen dann doch dem Papst peinlich? Hoffentlich! Gesteht ein Papst Fehler ein? Hoffentlich, aber äußerst unwahrscheinlich. Lediglich die katholische Tageszeitung „La Croix“, Paris, hat über dieses Treffen am 10.12.2025 ein bißchen kritisch berichtet. LINK

Siehe auch unseren Hinweis: Papst Leo XIV.- Entscheidungen eines Allein-Entscheiders LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Hoffnung denken und Hoffnung leben. Wider die Gesellschaft der Angst…

Hoffnung denken und Hoffnung leben

Der Philosoph Byung- Chul Han: Seine Essays über den „Geist der Hoffnung“ .
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
In unserer Gegenwart ist die Hoffnung bedroht, jene Hoffnung, die bekanntlich als „letzte stirbt“, wenn alles andere längst schon vernichtet wurde. Nicht nur die Hoffnung als die unverzichtbare philosophische und religiöse Idee ist bedroht, sondern die Hoffnung als die unverzichtbare „geistige Energie“ (oder „Elan“) in uns, die Mut zum Leben gibt, sie ermuntert uns zur Zukunft, sie erschließt uns Zukunft.

2.
Der Philosoph Byung-Chul Han legt vier philosophische Essays unter dem Titel „Der Geist der Hoffnung“ vor. Han ist in Deutschland als „südkoreanisch-deutscher“ Autor längst gut bekannt; seine Studien und Essays sind Ausdruck eigenständigen philosophischen Denkens. Sie nehmen die LeserInnen mit ins eigene Denken, ins Philosophieren, denn Philosophieren ist die lebendige Praxis „der“ Philosophie.

3.
Byung-Chul Hans Essays argumentieren stets vor dem politisch-kulturellen Hintergrund der Angst als der vorherrschenden Stimmung unter den Menschen nicht nur in Europa. Darum der Untertitel „Wider die Gesellschaft der Angst“.

4.
Der erste Essay, „Auftakt“ genannt, zeigt in unserer Sicht deutlich Byung-Chul Hans eigenes Hoffnungs-Denken. Ausgangspunkt ist die allgemeine Angst vor einem vernichtenden Ende von allem. So wird für sehr viele Menschen ihr Leben zu einem bloßen Über-Leben. Han schreibt: „Doch erst die Hoffnung läßt uns jenes Leben zurückgewinnen, das mehr ist als Überleben. Sie spannt den Horizont des Sinnhaften auf, der das Leben wieder belebt und beflügelt. Sie schenkt Zukunft.“ (S. 12). Dabei macht Han von vornherein klar: Hoffnung hat für ihn nichts mit Optimismus zu tun, jener zur allgemeinen Floskel geratenen `Blauäugigkeit` der unreflektierten Heiterkeit. „Im Gegensatz zum Optimismus, dem jede Entschlossenheit fehlt, zeichnet die aktive Hoffnung ein Engagement aus.“ (S. 17). Und dies ist zentral: Hoffen kann der Mensch nur mit anderen. „Das Subjekt der Hoffnung ist ein Wir.“ (S. 18). Aber die herrschende Politik und Ökonomie, Han spricht treffend und zurecht von einem „neoliberalen Regime“(S. 21), vereinzelt den Menschen, „in dem es den Menschen zum Unternehmer seiner selbst macht.“ (ebd.). Gerade dieser erste Essay ist sehr treffend von einer Gesellschaftskritik bestimmt. Etwa: „Soziale Medien bauen paradoxerweise das Soziale ab. Sie führen letztlich zur Erosion des sozialen Zusammenhaltes. Wir sind bestens vernetzt, ohne jedoch verbunden zu sein.“ (S. 23). Sätze, die man als kritische Weisheit in jedes Schulbuch schreiben sollte… Oder diese treffende Erkenntnis: „Die Hoffnung ist das Ferment der Revolution, das Ferment des Neuen…Wenn heute keine Revolution möglich ist, dann deshalb weil wir nicht hoffen können, weil wir in Angst verharren, weil das Leben zum Überleben verkümmert.“ (S. 27). Ich hätte mir hier weitere Ausführungen gewünscht: Etwa: Welche Politiker zerstören in uns die Hoffnung systematisch? Welche Politiker sind längst – durch ihre kriegerischen Aggressionen (Russland), ihren rechtsextremen Rassismus, ihre MAGA-Wahnsinns-Ideologien, ihre sture und versteinerte Förderung der Millionäre und Milliardäre – diejenigen, die unser „Leben zum Überleben verkümmern“…

5.
Die drei weiteren, ausführlicheren Essays denken der Hoffnung nach als „Handeln“, als „Erkenntnis“ und als „Lebensform“. Diese Essays entwickeln die Notwendigkeit der lebendigen Hoffnung in Auseinandersetzung mit anderen PhilosophInnen. Byung-Chul Han stellt die Hoffnungs-Philosophie etwa von Albert Camus, Nietzsche, Ernst Bloch oder auch Hannah Arendt vor, er zeigt deren originellen Ansatz, unterstützt etwa den Tagtraum, weil er Hoffnung gebiert“ (S. 45)…Han lobt Ernst Blochs und mit ihm Pastor Martin Luther Kings Position: “AlleinTagträumer sind fähig zur Revolution“(S. 46). Han kann Hannah Arendt nur zustimmen, wenn sie das Geborenwerden zum Ausgangspunkt ihrer Hoffnungsphilosophie nimmt, er kritisiert aber Arendt, weil sie nicht sieht: „Hoffnung geht der Handlung voraus .. Es ist nicht die Handlung, sondern die Hoffnung, die Wunder bewirkt.“ (S. 53). Ohne Hoffnung also keine neue, gerechte Gesellschaft, ohne Hoffnung keine Revolution des Neuen, des Besseren…
Aber auch dies ist für den Philosophen Han wichtig: Hoffnung hat bei aller Notwendigkeit des tatkräftigen Engagements doch immer auch eine „kontemplative Dimension“ (S. 45). Dass Han auch Dichter einbezieht, wie Paul Celan, Franz Kafka, Ingeborg Bachmann und den Dichter (Politiker) Václav Havel. Gerade die Hinweis zu Václav Havel sind mir wichtig: „Havel verortet die Hoffnung nicht in der Immanenz der Welt. Ihre tiefsten Wurzeln hat sie im `Transzendenten`!“ (S.68) Diese Weite der Auseinandersetzung mit der Hoffnung ist bei Han ein deutliches Statement: Philosophieren lebt nicht nur von sich explizit philosophisch nennenden Texten der sich Philosophen nennenden Denker. Und man hätte gern gewusst, in welcher expliziten Beziehung Han die im Buch abgedruckten Arbeiten Anselm Kiefers sieht…Es sind doch philosophische Bilder, oder?

6.
Byung Chul Han, der auch katholische Theologie in Freiburg studiert hat, kennt natürlich die drei Lebensformen, die der Apostel Paulus ins Zentrum seines Denkens stellt: Glaube-Hoffnung-Liebe. In der zweifellos berühmten Stelle im Ersten Brief an die Korinther, Kap. 13, Vers 13 schreibt Paulus: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“. Natürlich ist es philosophisch nicht nur reizvoll, sondern dringend, den Zusammenhang dieser menschlichen Lebenshaltungen und ihr Miteinander-Verbundensein zu erörtern. Denn die Abfolge der drei Begriffe hat Paulus nicht zufällig so gesagt. Und es eines der Resultate der Lektüre des Buches „Der Geist der Hoffnung“ von Byung-Chul Han, dass sich die LeserInnen selbst die Mühe machen, den Zusammenhang und das Aufeinander-Verwiesensein dieser drei Begriffe bzw. Lebensformen zu bedenken.

7.
In dem Sinne verweist für mich „Glaube“ auf die Beziehung des Geistes der Menschen zum Grund der Welt und der Menschen. Diesen Grund kann man göttliche, schöpferische Kraft nennen. Weil Menschen auf diesem „Grund“ leben, können sie die Hoffnung entwickeln, die zum Einsatz führt, etwa als Widerstand gegen die politisch – extremen Kräfte, die diese Welt inhuman gestalten. Und dann die Liebe, die Paulus als „die größte“ Lebensform in einem Leben des Glaubens und Hoffens herausstellt. Also: Liebend glauben und liebend hoffen (dann auch handeln), darauf kommt es an, wenn wir die Liebe zu uns und den anderen gestalten wollen.

8.
Ich halte die Abfolge der drei Begriffe im Sinne von Paulus: „Glaube – Hoffnung – Liebe“ für sinnvoll, wenn nicht geboten. Han scheint eher Wert zu legen auf diesen Zusammenhang : „Hoffnung, Glaube und Liebe“ (S. 109). Die Hoffnung ist also für ihn das Erste, die zentrale, grundlegende Lebensform…

9.
Der vierte Essay (S. 95 – 112) ist vor allem eine Auseinandersetzung mit Martin Heideggers „Sein und Zeit“. Han beschreibt Heideggers Position sehr klar und deutlich, diese Seiten empfehlen sich förmlich für bislang Unkundige als Einstieg in „Sein und Zeit“. Aber Han, dessen frühe Arbeiten explizit auf Heidegger bezogen sind, kritisiert das Denken in „Sein und Zeit“ grundlegend:“Heideggers Denken ist insofern griechisch, als es sich am Gewesenen, am Wesen, orientiert. So definiert er selbst das Mögliche vom Wesen her. Es ist nicht das Kommende, das Noch-Nie-Dagewesene…Nicht Elpís (Hoffnung), sondern Mnemosyne (Erinnerung) lenkt Heideggers Denken“ (S. 111). Insofern ist von Heidegger keine Wegweisung zur humaneren Zukunft der Gerechtigkeit mit weniger dominierender Angst zu erwarten. „Heideggers Denken hat keinen Zugang zum Kommenden, nämlich zur Zukunft als Avenir…nicht das Heideggersche Vorlaufen zum Tod,(in „Sein und Zeit“), sondern das Vorlaufen zur neuen Geburt ist die Gangart des hoffenden Denkens. In die Welt kommen als Geburt ist die Grundformel der Hoffnung.“ (S. 112).

10.
In dem wichtigen, inspirierenden, ins Weiter – Denken führende Buch Byung-Chul Hans vermisse ich Hinweise zur Frage: Welche Hoffnung bleibt angesichts des Todes? Gibt es eine begründete Hoffnung auf irgendeine Form eines wie auch immer gearteten Lebens des Geistes über den Tod hinaus? Wer sich etwa an den Aufsatz „Tod“ in Byung-Chul Hans Studie „Philosophie des Zen-Buddhismus“, Reclam Verlag, 2002), S. 96 ff. erinnert: Da beschreibt Han eindringlich, wie sich im Zen- Buddhismus eine deutliche Verkapselung des Menschen in seine erlebte Endlichkeit zeigt: „Die Endlichkeit kommt zum Leuchten ohne den Glanz des Unendlichen, ohne den Schein der Ewigkeit“ (S. 107). Und Han scheint sich der zen-buddhistischen Überzeugung anzuschließen, sie mindestens philosophisch sehr hoch zu schätzen. „Erst nach dem Töten des Todes im Zenbuddhismus ist man ganz lebendig, d.h. man lebt ganz, ohne den Tod als das andere des Lebens anzustarren. Ganz lebendig … fällt mit ganz sterblich zusammen. Die zen-budhistische Wendung des Tode geschieht ohne Trauerarbeit. Sie wendet das Endliche nicht ins Unendliche. Sie arbeitet nicht gegen die Sterblichkeit.“ (S. 113).
Wobei die grundlegende Frage bleibt: Wenn der Zen-Budhismus sich selbst als an die Immanenz gebunden weiß, dann weiß er mindestens umthematisch auch um eine Transzendenz, sonst wäre die Rede von Immanenz sinnlos.
Fragen, die über das neue Buch „Der Geist der Hoffnung“ hinausweisen, aber auf die Entwicklung der Philosophie Byung-Chul Hans aufmerksam machen.

Byung-Chul Han, Der Geist der Hoffnung. Wider die Gesellschaft der Angst. Mit Abbildungen von Anselm Kiefer. Ullstein Verlag, 2024, 2. Aufl., 128 Seiten, 22,99€.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Die Literatur – Nobelpreis – Rede von László Krasznahorkai am 7.12.2025: WENIG HOFFNUNG!

Einige wichtige Zitate des Vortrags von László Krasznahorkai in Stockholm.

Ausgewählt von Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de      Diese Zitate ersetzen nicht die Lektüre des vollständigen Textes des Vortrags: www.nobelprize.org

In seiner großen Rede am 7.12.2025 anläßlich der Ehrung mit dem Literaturnobelpreis hat der ungarische Dichter László Krasznahorkai zum Thema Hoffnung Stellung genommen. Er hat sich zunächst (I) auf die Götterboten, die Engel, bezogen, die einst – wie im Neuen Testament – „Frohe Botschaft“ überbrachten. Heute aber leben unter uns Engel ohne Flügel, sie sind förmlich flügel-amputiert, wie verloren und hilflos gehen sie durch unsere Welt. Die von Menschen zerstörten Gottes – Boten führen László Krasznahorkai weiter (II) zur Frage: Worin besteht eigentlich die Würde der Menschen heute – bei dieser offensichtlichen Zerstörung der Verbindungen zwischen Gott und der Menschen – Welt? Und III.erinnert sich László Krasznahorkai an ein für ihn ganz zentrales Erlebnis, an eine ihn erschütternde Erfahrung in Berlin, während einer U – Bahn – Fahrt: Er sieht, wie ein kranker, irritierter Obdachloser, Clochard genannt, in seiner Not öffentlich auf einem U-Bahnhof uriniert: Dabei wird er von einem Polizisten beobachtet, der Polizist als Hüter der „guten Gesetze“ und der „guten Ordnung“, will den Armen bestrafen, er setzt zur Verfolgung des Hilflosen an… László Krasznahorkai beschließt seinen Vortrag mit einem Hinweis auf die Aussichtslosigkeit der Rebellion heute. (CM)

I Nachdenken über Engel.

Mir wird klar, dass diese neuen Engel in ihrer unendlichen Stummheit vielleicht gar keine Engel mehr sind, sondern Opfer, Opfer im ursprünglichen, heiligen Sinne des Wortes, schnell hole ich mein Stethoskop heraus, denn ich habe es immer dabei….
Denn mein Stethoskop erkennt die schreckliche Geschichte dieser neuen Engel, die vor mir stehen, die Geschichte, dass sie Opfer sind, Opfer: und nicht für uns, sondern wegen uns, für jeden einzelnen von uns, wegen jedem einzelnen von uns, Engel ohne Flügel und Engel ohne Botschaft, und dabei wissen sie, dass es Krieg gibt, Krieg und nur Krieg, Krieg in der Natur, Krieg in der Gesellschaft, und dieser Krieg wird nicht nur mit Waffen geführt, nicht nur mit Folter, nicht nur mit Zerstörung…. :Engel sind wehrlos angesichts dessen, wehrlos gegen Zerstörung, wehrlos gegen Niedertracht, angesichts zynischer Gnadenlosigkeit gegenüber ihrer Harmlosigkeit und Keuschheit, eine einzige Tat reicht aus, aber schon ein einziges böses Wort reicht aus, um sie für alle Ewigkeit zu verwunden – was ich nicht einmal mit zehntausend Worten wieder gutmachen kann, denn es ist jenseits aller Wiedergutmachung.

II. Ach, genug der Engel.
Sprechen wir stattdessen über die Würde des Menschen.
Mensch – erstaunliches Wesen – wer bist du?
Ihr seid ins All geflogen, habt die Vögel verlassen, dann seid ihr zum Mond geflogen und habt dort eure ersten Schritte gemacht, ihr habt Waffen erfunden, die die ganze Erde um ein Vielfaches in die Luft jagen könnten, und dann habt ihr Wissenschaften auf so flexible Weise erfunden, dass das Morgen Vorrang vor dem hat, was man sich heute nur vorstellen kann, und es demütigt es, und ihr habt Kunst geschaffen, von den Höhlenmalereien bis zu Leonardos Abendmahl, vom magischen dunklen Zauber des Rhythmus bis zu Johann Sebastian Bach, und schließlich, im Einklang mit dem historischen Fortschritt hast du Mensch völlig plötzlich begonnen, an gar nichts mehr zu glauben, und dank der Geräte, die du selbst erfunden hast und die die Vorstellungskraft zerstören, bleibt dir jetzt nur noch das Kurzzeitgedächtnis, und so hast du den edlen und gemeinsamen Besitz von Wissen und Schönheit und moralischem Gut aufgegeben, und jetzt bist du bereit, dich auf die Ebenen zu begeben, wo deine Beine einsinken werden, beweg dich nicht, willst du zum Mars? Stattdessen: Bleib stehen, denn dieser Schlamm wird dich verschlingen, er wird dich in den Sumpf ziehen, aber es war schön, dein Weg durch die Evolution war atemberaubend, nur leider: Er kann nicht wiederholt werden.

III. Genug von der Menschenwürde. Sprechen wir stattdessen über Rebellion.

…Hier blieb meine Aufmerksamkeit stehen, und hier ist sie bis heute geblieben, wenn ich an dieses Bild denke, an diesen Moment, in dem der wütende Polizist, seinen Schlagstock schwingend, beginnt, dem Clochard hinterherzulaufen, nämlich an den Moment, in dem das obligatorische Gute auf das Böse zuläuft, das wieder einmal in der Verkleidung eines Clochards auftaucht, und zwar nicht einfach auf das Böse, sondern aufgrund des Bewusstseins und der Absicht dieser Handlung auf das Böse selbst, und so sehe ich in diesem eingefrorenen Bild immer wieder, und ich sehe es sogar heute noch, den einen, der auf dem entfernten Bahnsteig vorwärts eilt, seine schnellen Schritte tragen ihn Meter für Meter voran, und auf unserer Seite sehe ich den Schuldigen, stöhnend, zitternd, machtlos, fast gelähmt vor Schmerz, denn wer weiß, wie viele Tropfen Urin noch in diesem Körper waren…
und selbst wenn dieser Polizist diesen Clochard packen könnte, während der Zug in den Bahnhof donnert, sind diese zehn Meter Abstand in meinen Augen ewig und unüberwindbar, denn meine eigene Aufmerksamkeit spürt nur, dass das Gute niemals das um sich schlagende Böse einholen wird, denn zwischen Gut und Böse gibt es keine Hoffnung, überhaupt keine.
Mein Zug brachte mich nach Ruhleben, und ich konnte dieses Zittern und diese Zappelei nicht aus meinem Kopf bekommen, und plötzlich, wie ein Blitz, schoss mir die Frage durch den Kopf: Dieser Clochard und all die anderen Ausgestoßenen, wann werden sie endlich rebellieren – und wie wird diese Revolte aussehen? Vielleicht wird sie blutig sein, vielleicht gnadenlos, vielleicht schrecklich, wie wenn ein Mensch einen anderen massakriert – dann schüttle ich den Gedanken ab, denn ich sage mir: Nein, die Rebellion, die ich mir vorstelle, wird anders sein, denn diese Rebellion wird sich auf das Ganze beziehen.
Meine Damen und Herren, jede Rebellion steht in Beziehung zum Ganzen, und jetzt, blitzt in mir wieder diese einmalige Berlinreise mit der U-Bahn nach Ruhleben auf. Eine beleuchtete Station gleitet nach der anderen vorbei, ich steige nirgendwo aus, seitdem fahre ich mit dieser U-Bahn durch den Tunnel, denn es gibt keine Haltestelle, an der ich aussteigen könnte, ich beobachte einfach nur, wie die Stationen vorbeigleiten, und ich habe das Gefühl, dass ich über alles nachgedacht habe und alles gesagt habe, was ich über Rebellion, über Menschenwürde, über die Engel und ja, vielleicht sogar über alles – sogar über Hoffnung – denke.

(Übersetzt von deepL)

Den Widerstand gegen die Nazis ehren, gleichzeitig Mitläufer und Täter nennen. Über Bernhard Lichtenberg (Berlin)

Zum Gedenken an den katholischen Priester Dompropst Bernhard Lichtenberg in Berlin

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.12.2025
1.
Wenn in der Nazi-Zeit einige Menschen lebten, die mit – menschlich blieben, also Widerstand leisteten, dann sollten im Gedenken an diese wenigen stets auch die allermeisten erwähnt werden, also die Täter und Mitläufer des Nazi-Regimes. Sonst wird im üblichen, zur Routine gewordenen Gedenken, nur eine Jubelveranstaltung als „Helden- Gedenken“, dieses Gedenken übersieht: Diese Wenigen waren umgeben von sehr vielen Schweigenden, Wegsehenden, Mitläufern und Parteigängern. Sie waren eine Gefahr für die wenigen. Insofern ist eine „Heldenverehrung“ des Nazi-Widerstandes, die diese feindliche “Umgebung” vergißt, eine Verirrung, wenn nicht Lüge.

2.
Anläßlich eines Gedenkens an einen katholischen „Helden“ (katholisch formuliert: Gedenken an einen „Seligen“) fordern wir also gleichzeitig eine solche öffentliche Erinnerung, die alle Einseitigkeiten des Jubels überwindet und Fehler, Verirrungen und Verbrechen der Mehrheit damals im Gedenken selbst freilegt. Denn nur unter dieser Bedingung können wir heute „von der Geschichte lernen“, wie es so schön immer wieder heißt. Wir müssen heute wissen, wie viele Christen ihren Glauben damals ignorierten, als sie Nazis (Mitläufer, Ignoranten, Parteimitglieder usw.) wurden und die wenigen authentischen Christen allein ließen, verachteten, preisgaben…

3.
An welchen Helden denken wir jetzt konkret? An eine katholische Ausnahme-Gestalt: Durchaus ein Vorbild im Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft ist Dompropst Bernhard Lichtenberg. Anläßlich seines 150. Geburtstages am 3. Dezember 2025 wird ein „Sonderpostwertzeichen“ herausgegeben, die Briefmarke wird sogar von Berlins katholischem Erz – Bischof Heiner Koch in der St. Hedwigkathedrale präsentiert: Ob diese Marke auch noch gesegnet wird, ist fraglich. Zur neuen “Lichtenberg – Briefmarke” 2025: LINK 
Aber der Ort ist gut gewählt: In der Hedwigkathedrale wirkte Bernhard Lichtenberg … und … weil er sich für die verfolgten Juden einsetzte und dort öffentlich für sie betete, wurde er von einem im Gottesdienst sitzenden Spitzel angezeigt: Am 23. Oktober 1941 wurde der prominente katholische Priester von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und am 22. Mai 1942 von einem Sondergericht verurteilt. Nach zweijähriger Strafhaft schwer erkrankt, starb der Nazi – Gegner in der Stadt Hof am 5. November 1943, unterwegs im Transport zum Konzentrationslager Dachau. Geboren wurde Bernhard Lichtenberg am 3. Dezember 1875 in Ohlau, Schlesien. 1899 wurde er in Breslau zum Priester geweiht.

4.
Wegen seines Mutes, den Nazis öffentlich (!) zu widersprechen und für die verfolgten Juden einzustehen, wurde Bernhard Lichtenberg 1996 „selig gesprochen“: Bernhard Lichtenberg, nun „bei Gott“, kann also – nach katholischem Verständnis – von den Gläubigen im Bistum Berlin als Seliger ein Fürsprecher sein an Gottes Thron. Eine Heiligsprechung – sozusagen als himmlischer Fürsprecher dann aber weltweit – wird noch angestrebt. Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ehrte den katholischen Priester 2004 mit der Auszeichnung als „Righteous among the Nations“ im Jahr 2004.

5.
Es verdient alle Unterstützung, dass mutigem Mensch gebliebene Menschen aus dem Widerstand gegen die Nazis als Vorbilder  geehrt werden. Das soll unbedingt so bleiben. Und eines Tages werden die Widerstandskämpfer gegen die heutigen Rechtsextremen und Neo -Nazis in Europa oder den USA auch öffentlich von der Kirche geehrt werden. Ob sich viele Katholiken und Christen anderer Kirchen darunter befinden, wird sich zeigen, diese Christen haben dann das Evangelium richtig AUCH als politische Botschaft, als Eintreten für die Menschenrechte, verstanden.

6.
Aber die Veranstaltungen von Gedenken zu Bernhard Lichtenberg sollten gleichzeitig dokumentieren und anzuerkennen: Dieser Selige, dieser vorbildliche Mensch, ist eine Ausnahme in der damaligen katholischen Welt. Dass die evangelische Kirche damals in ihrer starken Bindung an rechte und rechtsextreme Kreise, an die „deutschen Christen“  nur wenige Vorbilder hat … das ist ein anderes Thema…Martin Luthers Theologie bzw. Ideologie vom Gehorsam gegenüber der Obrigkeit zeigte seine furchtbare Wirkung.

Um deutlich zu machen, dass tatsächlich nur sehr wenige Priester in Deutschland den Nazis widerstanden: 1933 lebten in Deutschland 27.000 so genannte Weltpriester (Diözesanpriester) und weitere 15.00 männliche Ordensleute sowie mindestens 90.000 Ordensfrauen. Quelle: LINK.    Und: “Von den rund 2.700 im KZ Dachau inhaftierten Geistlichen unterschiedlicher Nationalität (“!) waren fast 95 Prozent katholischen Glaubens. Mindestens 160 deutsche Priester und 110 Laien büßten ihre Standhaftigkeit gegenüber dem Nationalsozialismus mit dem Leben.” Quelle: LINK

7.
Die katholische Kirche, ihre Theologen und ihre Kirchenhistoriker müssen heute öffentlich anerkennen: Es ist nun wirklich nicht so, dass alle Berliner Priester und Ordensleute Bernhard Lichtenberg, ihren Dompropst, unterstützten, sich ihm anschlossen und wie er für die verfolgten Juden öffentlich beteten. Wäre diese umfassende Solidarität so vieler Priester mit dem Dompropst Lichtenberg wie vor allem Solidarität mit den Juden der Fall gewesen, dann hätten die Nazis sicher nicht alle Berliner Priester verhaftet … und die Nazis hätten – bei solchem “Massenprotest” – auch Bernhard Lichtenberg nicht ins KZ verurteilt. Mit anderen Worten: Es gilt einzugestehen: Es gab sehr viele „Mitläufer“ mit der Nazi-Partei auch im Klerus. Dazu gibt es keine umfassenden Studien, “Heldenverehrung” ist eben einfacher und angenehmer für die Kirche heute.

8.
Der für den Dompropst Bernhard Lichtenberg zuständige Berliner Bischof in der Nazi-Zeit war Bischof Konrad von Preysing, und er zeigte sich in seinen Stellungnahmen – im Rahmen der Bischofskonferenz – als ein entschiedener Gegner der Nazis. Aber Bischof von Preysing gehörte in dieser Position zur absoluten Minderheit unter den Bischöfen im Deutschen Reich. In welcher Weise Preysing seinen Dompropst öffentlich explizit unterstützte, muss noch erkundet werden.

9.
Bernhard Lichtenberg hatte aber einen erklärten Gegner unter den Bischöfen, und der saß im Erzbistum Breslau, das Bistum Berlin war diesem Erz – Bistum unterstellt. Und in Breslau regierte ein Kardinal, der in der Öffentlichkeit – sicher mit guten Gründen – als ein Freund des Nazi-Regimes wahrgenommen wurde. Der Breslauer Kardinal Adolf Bertram, seit 1914 dort als Erzbischof (gestorben 1945), war zudem der mächtige, letztlich der bestimmende Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Man sagt jetzt gern, Kardinal Bertram habe „intern“, in kleinen privaten Zirkel, Vorbehalte gegen Hitler und seinen Wahn geäußert.  Und man nennt diese Zurückhaltung des Kardinals gegenüber den Nazis „diplomatisches Verhalten“. Das sind die üblichen Floskeln, mit denen der geringe Mut zum öffentlichen Widerspruch und Widerstand entschuldigt werden soll. Aber: Einen öffentlich mutigen, widerstädnigen Kardinal ins KZ zu stecken – das hätten selbst die Nazis nicht gewagt. Den öffentlich Nazi – kritischen Berliner Bischof von Preysing haben die Nazis nicht verhaftet, nicht dem KZ ausgeliefert…

10..
Historiker meinen, Prälat Bernhard Lichtenberg in Berlin habe die Haltung von Kardinal Adolf Bertram, also dessen höchst moderaten, freundlichen Kurs gegenüber den Nazis, nicht direkt öffentlich kritisiert bzw. kritisieren können. Bei der Priesterweihe versprechen die neugeweihten Priester immer noch Gehorsam ihrem Bischof, so musste also Lichtenberg schweigen zur öffentlichen Nazi-Freundlichkeit seines obersten Vorgesetzten Kardinal Bertram.
Aber Dompropst Lichtenberg kannte natürlich die letztlich nazifreundliche Gesinnung Kardinal Bertrams. Lichtenberg musste an seiner Stelle den Mund auftun und mit dem Leben bezahlen.

11.
Es kann hier kein umfassendes Porträt Kardinal Adolf Bertrams in Breslau angeboten werden. In dem Band „Die Kirchen im Dritten Reich“ von Georg Denzler rund Volker Fabricius (Fischer, 1984) schreibt der Historiker Georg Denzler: „Erzbischof Bertram suchte in gemeinsamen Hirtenbriefen jede massive Regimekritik zu vermeiden.“ (S. 101). Denzler nennt Erzbischof Bertram „politisch naiv“, er erlaubte sich, zu Hitlers Geburtstag 1940 „dem hochgebietenden Herrn Reichskanzler und Führer die herzlichsten Glückwünsche darzubringen.“ Und der Erzbischof versicherte Hitler noch pauschal „die Staatstreue des katholischen Volkes“ (S. 102). Denzler schreibt: „Und um das Maß an ideologischer Verschwommenheit und Verwirrung vollzumachen, bekannte Erzbischof Bertram dem Führer uneingeschränkt, so wörtlich: „Ich bitte daran erinnern zu dürfen, dass dieses unser Streben (der Treue zu Hitler) nicht im Widerspruch steht mit dem Programm der nationalsozialistischen Partei.“ (S. 102). Hitler bedankte sich bei Bertram am 29. April 1940 sehr herzlich und „mit besonderer Genugtuung“ bei Kardinal Bertram.
Bischof von Preysing (Berlin) war über diese Hitler – Ergebenheit Kardinal Bertrams empört, die Bischöfe waren gespalten, schreibt Denzler (S. 103). Die Hitler-kritischen Bischöfe blieben aber die einflußlose Minderheit.  Dompropst Lichtenberg übernahm als einzelner mit seinem öffentlichen Gebet für die Juden genau die Aufgabe, die eigentlich Aufgabe aller Bischöfe und der Bischofskonferenz gewesen wäre.

12.
Ein Beispiel für das Nazi-freundliche Verhalten Kardinal Bertrams schon im Jahr1933: Eine Intervention gegen den von den Nazis propagierten Boykott jüdischer Geschäfte im Jahr 1933 befürwortete Kardinal Bertram nicht und sagte: „Meine Bedenken beziehen sich, 1. darauf, daß es sich um einen wirtschaftlichen Kampf in einem uns in kirchlicher Hinsicht nicht nahestehenden Interessentenkreis handelt; 2., daß der Schritt als Einmischung in eine Angelegenheit erscheint, die das Aufgabengebiet des Episkopats weniger berührt; der Episkopat aber triftigen Grund hat, sich auf sein eigenes Arbeitsgebiet zu beschränken […]Dass die überwiegend in jüdischen Händen befindliche Presse (sic, CM) gegenüber den Katholikenverfolgungen in verschiedenen Ländern durchweg mit Schweigen beobachtet hat, sei nur nebenbei berührt.“ (Quelle: Josef und Ruth Becker: Hitlers Machtergreifung. Dokumente. dtv, München 1983, (Dokument Nr. 148, Seite 195).

Dr. Sascha Hinkel, Kirchenhistoriker an der Uni Münster, nennt die Beweggründe für das Nazi-freundliche Verhalten Kardinal Bertrams: „Ein katholischer Bischof ist für wen zuständig? Für seine Katholiken. Der Bishcof ist nicht für Juden zuständig. Die Juden können für sich selbst sorgen, jüdische Institutionen sind für die Juden zuständig. Das sagt Kardinal Bertram im Prinzip schon 1933, und das führt er fort bis 1945. Es ging Kardinal Bertram darum, die vitalen Interessen der katholischen Kirche zu schützen, das schreibt er immer wieder. Und was ist das vitale kirchliche Interesse? Die Aufrechterhaltung der kirchlichen Institutionen, um Seelsorge zu gewährleisten.”(Quelle: DLF Kultur am 22.1.2023 LINK   https://www.deutschlandfunkkultur.de/kirchen-nationalsozialismus-kaum-protest-spaete-aufarbeitung-100.html. Dass die Juden – so die heutige Sichtweise der Kirchen – eigentlich Geschwister im Glauben sind, das sah Bertram leider anders…Aber wahrscheinlich hatte er das nicht besser gelernt in der Jahrhunderte alten Abwehr alles Jüdischen im Christentum und seiner Theologie.

13.
Warum also diese Hinweise: Wer heute zurecht an die sehr wenigen (gegenüber der Gesamtzahl der Priester und Ordensleute) Priester im Widerstand gegen die Nazis erinnert, sollte immer zugleich sagen: Diese vorbildlichen Gestalten sind die Ausnahme. Die allermeisten Priester und die allermeisten „Laien“ haben geschwiegen, sie waren mindestens Schweigende, Mitläufer…

14.
Erst wenn im Zusammenhang der „Heldenverehrung“ die Masse der Schweigenden, der Mitläufer usw. ausführlich auch erwähnt wird, ist das Erinnern wahrhaftig. Wer immer nur die wenigen positiven Beispiele herausstellt und sozusagen abstrakt, d.h.ohne Kontext feiert, der halbiert sozusagen das Gedenken, halbiert die Wahrheit.

Gotthard Klein hat im „Diözesan Archiv Berlin“ ausführlich über  Bernhard Lichtenbergs, dessen Nazi -Protest und Leidensweg berichtet: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin